Im Archiv der früheren Amts- und Gemeindeverwaltung von Oberpleis wurde jahrelang ein Aktenordner mit der Bezeichnung „Hünscheiderhof" aufbewahrt, worin u.a. von einer „Stiftung Gebrüder Röttgen" berichtet wurde. Es ist bekannt, daß das alte Bürgermeisteramt in den letzten Kriegstagen durch Beschuß so erheblich zerstört war, daß die Räume unbrauchbar geworden waren und die Bediensteten in das Jugendheim an der Dollendorfer Straße umziehen mußten. Das Archiv und viele Akten lagen nach dem Beschuß zerstreut im Hof des alten Amtes. Bürger von Oberpleis haben damals die Akten in die restlichen Räume gebracht und sie damit gerettet. Die Akte über den Hünscheiderhof ist hierbei verloren gegangen. Vom Hünscheiderhof ist bisher wenig bekannt geworden. Meine Vermutung, daß sich Unterlagen im Besitze des jetzigen Eigentümers befinden würden, hat sich bestätigt. Im Besitz der Familie Brassel sind zahlreiche Kaufverträge und Urkunden aus früheren Jahren erhalten.
Der Hof ist älter, als allgemein angenommen wird. Auf einem Stein, der früher an einem Gebäudeteil angebracht war, steht die Jahreszahl 1794 und mehrere Buchstaben, die bisher nicht gedeutet werden konnten, und zwar: R A B C S. Hiernach ist der Hof fast 200 Jahre alt. Daß der Hof früher in kirchlichem Besitz war, wie so viele Höfe in unserer näheren und weiteren Umgebung, steht fest. In der Schrift von Markus Hoitz von 1987, herausgegeben von der Stadt Königswinter, betreffend die Auflösung der Abtei Heisterbach, sind die Besitztümer des Klosters im Einzelnen aufgeführt. In dieser Aufstellung ist der Hünscheiderhof allerdings nicht genannt. Trotzdem steht fest, daß Heisterbach Grundbesitz in der Nähe des Hofes hatte. Viele Heisterbacher Grenzsteine standen bis vor einigen Jahren noch an manchen Grundstücken in der Umgebung des Hofes. Obwohl die Steine keinen materiellen Wert haben, haben Unbefugte die Grenzsteine ausgegraben und sich widerrechtlich angeeignet, ein unverantwortliches Tun.
Der Hof wird zuerst in einer Bekanntmachung der damals Königlich-Preußischen Regierung (Domänenverwaltung) in Köln vom 28. April 182() erwähnt. In einer umfangreichen Aufstellung wird der Verkauf einer Vielzahl von Domänengütern an zwei Tagen, dem 29. und 30. Mai desselben Jahres, angekündigt. Die Liste der zur Versteigerung anstehenden Objekte umfaßt sechzig Namen, größtenteils Bauernhöfe. In der Liste ist unter der lfd. Nr. 11 der Hünscheiderhof aufgeführt. Hierbei ist angegeben, daß der Hof seit dem 14.11.1811 an einen Peter Röttgen verpachtet ist. Die Größe des Hofes ist mit 75 Morgen und 80 Ruthen angegeben, wobei betont ist, daß der größte Teil des Hofes zehntfrei sei. Damit ist sicher, daß der Hof beider Säkularisation im Jahre 1803 in den Besitz des Herzogtums Berg, des späteren Großherzogtums, kam und nach 1815 Eigentum des Preußischen Staates geworden ist. Wie nachgewiesen ist, sind nicht alle Domänengüter an diesen Tagen verkauft worden. Manche Höfe blieben vorerst verpachtet und sind später übergegangen. Nach einem Vermerk im Pfarrarchiv ist der Hünscheiderhof im Jahre 1822 von dem Pächter Röttgen gekauft worden.
Bei dem genannten Pächter Röttgen handelt es sich um den Ahnherr der Familie Röttqen, die bis zum Tode der letztlebenden Brüder Wilhelm und Adolf Röttgen im Besitze des Hofes gewesen ist. Aus verschiedenen Urkunden im Besitz des jetzigen Eigentümers geht hervor, daß noch mehrmals Parzellen hinzugekauft wurden. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß der frühere Pfarrer von Oberpleis, Johann Wilhelm Stricker, der aus Boseroth stammte (geboren 1771, gestorben 1834), über größeren Grundbesitz verfügt haben muß. Er hat laut Urkunden Grundstücke nicht nur an die Familie Röttgen, sondern auch an andere Privatpersonen verkauft. Auch hat er Grundstücke der Kirche Oberpleis übereignet, die im Lagerbuch der Kirche als Vikariefonds geführt wurden und deren Ertrag dem jeweiligen Vikar oder Kaplan zufließen sollten. Altere Einwohner von Boseroth erwähnten schon vor vielen Jahren, daß Pfarrer Stricker, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, selbst einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb hatte. Vermutlich war dies der Grund, weil die Zuschüsse des Landes für die Besoldung der Geistlichen, die er als Ausgleich für die Enteignung des Kirchenvermögens zahlen mußte, nicht immer ausreichend waren.
In einem notariellen Vertrag vom 26. März 1904 setzten sich die unverheirateten Brüder Wilhelm und Adolf Röttgen gegenseitig als Erben ein. Gleichzeitig wurde die bei ihnen wohnende Margarete Reuschenbach - sie wurde in dem Erbvertrag als Pflegetochter bezeichnet - für ihre langjährigen treuen Dienste als Haupterbin eingesetzt. Abgesehen von einigen anderen Grundstücken, die an Verwandte und Bedienstete übergehen sollten, war sie Haupterbin des Hofes mit seinen Grundstücken. In diesem Erbvertrag wurde festgelegt, daß nach dem Tode der Erblasser acht Grundstücke in einer Gesamtgröße von 2,05 ha an die Gemeinde Oberpleis übergingen, mit der Auflage, daß der Ertrag der Grundstücke (Pacht) alljährlich zu Weihnachten an die Armen der Gemeinde verteilt werden mußte. Bürgermeister und der jeweilige Pfarrer sollten entsprechend verfahren. Die Gebrüder Röttgen sind kurz nachher gestorben. Im Jahre 1906 wurden der Hof und die übrigen Grundstücke auf die genannte Haupterbin grundbuchlich überschrieben.
Daß durch die Übertragung der acht Grundstücke an die Gemeinde die Existenz des Hofes gefährdet war, wird vermutlich der Grund gewesen sein, daß im folgenden Jahr die acht Parzellen öffentlich versteigert wurden. Für einen Kaufpreis von 5400 Mark sind sie wieder an die Eigentümerin des Hofes zurückgegangen. Der Gemeinderat von Oberpleis, wie auch der Kreisausschuß als Aufsichtsbehörde, stimmten der Rückgabe der Grundstücke unter der Bedingung zu, daß die Zinsen des Kaufpreises nicht geringer sein durften wie die bisher erzielten Pachtbeträge von jährlich 173 Mark. Da die Akte über den Hof verloren ist, und auch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen, muß man annehmen, daß Pfarrer und Bürgermeister pflichtgemäß gehandelt und die Zinsen alljährlich, wie im Testament angeordnet, verteilt haben. Das Kapital der Stiftung war zinsbringend angelegt und durfte nicht angegriffen werden. Das war die in den Jahren vor und nach dem Ersten Weltkrieg öfter erwähnte Armenstiftung der Brüder Wilhelm und Adolf Röttgen. Das Ende der Stiftung ist klar. Ebenso wie viele andere Vermächtnisse - man denke auch an die zahlreichen Meßstiftungen - sind sie in den Inflationsjahren von 1920 bis 1923 entwertet worden und vollständig verloren gegangen. Der jetzige Eigentümer des Hünscheiderhofes hat ihn wegen Erreichens der Altersgrenze seit 1979 verpachtet. Heute gehören zum Hof 10 ha = 40 Morgen, wobei ich betone, daß in den Kreisen der Landwirte wie auch der Landbevölkerung die Flächenangaben in Morgen heute noch allgemein üblich ist.
Benutzte Quellen: Bekanntmachung der Kölner Regierung vom 28. April 1820; notarielle Verträge, Urkunden und Schriftwechsel im Besitze des jetzigen Eigentümers.
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