Haus Neuglück, Bennerscheid

Ursprünglich war das jetzige „Waldschlösschen Neuglück“ ein einfaches Wohnhaus für den Steiger der benachbarten Erzgrube Altglück. Als der Bergbau dort im Jahre 1875 endgültig eingestellt wurde, kaufte die Gräfin Elinor de Milhau, geb. Hölterhoff, die auch in Bad Honnef Besitz hatte, das Anwesen. Das Haus wurde, der Belle – Epoque entsprechend, in phantasievoller Fachwerkarchitektur zum Landhaus um- und ausgebaut. Es besaß sogar eine Hauskapelle. So wurde aus dem bescheidenen Steigerhaus das romantische Waldschlösschen im Bennerscheider Wald. Es wäre allerdings nicht so bekannt geworden, hätte sich nicht der berühmte französische Dichter Guillaume Apollinaire eine Zeitlang darin aufgehalten.

Im Jahre 1901 verpflichtete die Gräfin de Milhau einen gewissen Wilhelm Albert Vladimir Apollinaris de Kostrowitzky für ein Jahr als Französischlehrer für ihre Tochter. Während dieser Zeit lebte er in der Familie und unternahm mit ihr eine dreimonatige Reise durch Deutschland und Österreich – Ungarn, die ihn zu Gedichten, Erzählungen und Reise- Impressionen inspirierte. Diese wurden zum ersten Male in Pariser Zeitungen veröffentlicht, und man wurde in Frankreich auf den jungen Dichter aufmerksam. 1902 legte er sich das Pseudonym „Guillaume Apollinaire“ zu. Er starb 1918 achtunddreißigjährig an einer Virusgrippe.

Das kleine Waldschlösschen wechselte im Laufe der Jahre noch oft seinen Besitzer. Etliche Jahre beherbergte es einen Restaurationsbetrieb und war ein beliebtes Ausflugsziel. Heute werden in seinen Räumen Seminare und Tagungen abgehalten.

Die Gräfin vom Neuglück* (Elionor Vicomtesse de Milhau geb. Hölterhoff)

“Sie war wirklich eine Gräfin. Zwar entstammte sie einer reichen Bürgerfamilie aus einer Rheinstadt, aber sie verschenkte ihre Reize und ihr Vermögen einem vornehmen französischen Vicomte, den die Leute im Dorf wegen seiner verunstaltenden Geschwulst am Kopf respektlos den Grafen „ Einhorn “ nannten. An ihn kann ich indessen nicht mehr erinnern, wohl aber an die Gräfin und ihre in der Tat ebenso entzückende wie elegante Tochter.

Übrigens glich sie der Hexe im Bilderbuch, und sie benahm sich auch so. Man stelle sich eine ziemlich kleine Person mit rostroten Haaren vor und einem faltigen Gesicht, das sie viel älter erschienen ließ als sie war. Stechende Augen hatte sie und eine Habichtnase. Aber so etwas findet man ja nicht nur bei Gräfinnen. Ihr Hals, ihre Hände und Arme, ja ihre Beine (sie trug im Sommer, und das vor nunmehr über fünfzig Jahren, nackte Waden!) waren von einer rauen Fischhaut bedeckt, die wie Schorf anzusehen war; um die Knöchel trug sie blitzende, edelsteinbesetzte und mit klingenden Goldmünzen besetzte Armbänder.

Der hexenhafte Eindruck wurde noch verstärkt durch das Gefährt, mit dem sie ankam, und das sie selbst kutschierte. Man muss sich vorstellen, dass ihre Kutsche manchmal ohne Pferde fuhr; dass die Gräfin einen runden, steifen Filzhut, einen Bibi auf dem Kopf und einen düsteren Schleier vor dem Gesicht auf dem Bock saß und statt der Zügel ein Ding handhabte, das der Bremskurbel unseres Schmalspurbähnchens glich; dass das Ding qualmte und nach verbranntem Benzin stank, und dass sie mit der freien Hand manchmal auf einen Gummiball drückte, so dass es komisch trompetende Töne gab und die Hühner und Gänse, Kühe und Menschen auf der Straße vor Schrecken auseinander stoben…

Und das Hexenhaus? Es wuchs in diesen Jahren in einem verwilderten Garten hinten an der Gemeindegrenze auf. Unendlich finstere Fichtenwälder woben sich dort über die Hügel und tief in die verschlungenen Täler hinein. Alte verlassene Silberbergwerke gab es da und verschüttete Schächte. Ein Teil des Waldes hieß: Das Dollscheid … Unter dem wilden Fichten- und Eibengewirr hatte einst nur eine halbzerfallene Bauernhütte gestanden. Aber als sich die Gräfin hier eingenistet hatte, wurde fast jedes Jahr ein Stückchen dazu gehext. Ein komischer Bau entstand. Kleine, eng verschachtelte Bauflügelchen, scheunenartige Anhängsel, Erker, Türmchen, so klein, dass kein Mensch, höchstens ein unbotmäßiges Geistchen drin eingesperrt werden konnte. Und in winterlichen Sturmnächten drang daraus zuweilen ein geheimnisvolles Klagen, fast wie ein jämmerliches Kinderweinen.

Ja, ein Teil des Hauses schwebte förmlich in der Luft; es war ein gar nicht so kleines Sälchen, und es verstand sich, dass die spinnenbeindünnen weißen Stempelchen darunter das Ding keine Stunde aus eigener Kraft hätten tragen können. Die Außenwände waren mit grellen Farben bemalt, jedoch nicht so, dass etwa farbige Ornamente erschienen. Jede Wand hatte einen anderen Grundton, grün, blau, gelb und blass rosa. Dagegen hoben sich die fast stets geschlossenen Schlagläden düster ab. Nur unter dem Sälchen gab es einen eigenartigen Fries, auf dem, von Girlanden verbunden, Masken und Fratzen reliefartig erschienen … Die zauberhaften Veränderungen betrafen nicht allein das Äußere. Es genügte der Besitzerin keineswegs, wenn einmal ein Gebäudeflügel plötzlich zu verschwinden und einem anderen Platz zu machen hatte…

Da gab es in einem Zimmer ein helles Fenster, dahinter glaubte man die grünen Bäume winken zu sehen. Wenn man es aber öffnete, blickte man in einen kapellenartigen Raum, an dessen Wänden uralte Bilder grüßten, und der von wenigen Kerzen ein düsteres Licht empfing. Oder es gab plötzlich einen eigenartigen Klang, es wurde dunkel. Wenn das Licht wieder aufflammte, stand wie aus der Erde gewachsen ein Tischchen, auf dem in silbernen Schalen fremdländische Früchte und scharf gewürztes Gebäck zum Zugreifen einluden.

Oder es öffnete sich ganz einfach die Tapete, und dann war plötzlich die liebliche Comtesse Gabriele da, die doch irgendwo am Mittelmeer auf Reisen sein sollte. Gestern hatte sie noch aus Ragusa telegrafiert.“


*Auszug aus dem Roman „ Die Insel “von Werner Heinen, Erinnerungen an seine Kindheit in Oberpleis, erschienen im Verlag Bonner Buchgemeinde 1953.

Bild von 1950 (ca.)
Text 1: Fritz Karl Birkhäuser; Foto 1: Karl Balensiefen
Quelle: Negativ - Archiv Klaus Reinecke (Bild 1); Fotograf von Bild 2 unbekannt
Zur Verfügung gestellt von F. Müller: Bild 2; Recherche: Christa Dohmann
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Raum: Alte Villen Vitrine: Haus Neuglück
Raum: Gewerbe Vitrine: Gaststätten
Raum: Aus den Dörfern ringsum Vitrine: Bennerscheid
Raum: Fachwerk
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