Jugend- und Schulerinnerungen, erzählt von Johann Bennerscheid

XII Teil
"Christi Himmelfahrt in meiner Jugend - Die Eisbacher Wasserleitung

Diese Zeilen schreibe ich am Nachmittag von Christi Himmelfahrt 1969 und stelle fest, dass ich heute vor 68 Jahren zu ersten heiligen Kommunion gegangen bin. Damals gingen die Kinder im 13. Lebensjahre zur ersten heiligen Kommunion und mit 14 Jahren kamen sie zur Schulentlassung. Vom Schluss der Herbstferien des vorhergegangenen Jahres an bis Christi Himmelfahrt, hatten wir jeden Mittwochnachmittag von 2 bis 3 Uhr Religionsunterricht. Zu 'Großvaters Zeiten' war es noch viel strenger; es stand dem Pfarrer, der zugleich Lokalinspektor war, frei, ein Kind aus Gründen, die ihm als genügend schienen, noch ein Jahr zurückzustellen. Das betroffene Kind ging dann erst mit 14 Jahren zur ersten heiligen Kommunion, was zur Folge hatte, dass es auch noch ein Jahr länger in die Schule gehen musste, denn ein Jahr nach der ersten heiligen Kommunion wurden die Kinder aus der Schule entlassen. Aus übergroßer Ehrfurcht vor dem heiligen Sakrament hatten damals die Kinder auch nur alle zwei Monate gemeinschaftliche Kommunion nach gründlicher Vorbereitung. Aus uns unbegreiflicher Angst, diese Ehrfurcht würde sich verflachen oder verlieren, wurde damals nicht zu häufigerem Empfang der heiligen Kommunion gedrängt. Gott sei Dank, hat sich dieses gründlich geändert.

Es war eine Tradition für uns Jungen, am Himmelfahrtstag einen Ausflug ins Siebengebirge zu unternehmen, natürlich zu Fuß; mit Autos waren wir damals noch nicht belastet. Dabei muss man bedenken, dass der Ausflugsverkehr mit dem von heute bei weitem nicht vergleichbar ist. Hierzu ein Beispiel: Mein Freund Josef Buchholz und ich waren etwa 15 Jahre alt, als wir Christi Himmelfahrt nachmittags den Ölberg 'besteigen' wollten. Jeder von uns hatte bare zwanzig Pfennig bei sich. Dafür wollten wir uns auf dem Ölberg Limonade kaufen. Als wir auf dem Berg ankamen, stellten wir fest, dass wir die einzigen Ausflügler waren. 

Damals existierten noch keine Bauten auf dem Ölberg, nur ein windschiefes Trinkbüdchen, das aber aus Mangel an Publikum geschlossen war, eine Fahnenstange ohne Fahne und eine Holzbank standen da. Das war alles. Voll jugendlichem Tatendrang banden wir die Bank an die Leine der Fahnenstange und zogen diese dann unter Mühen hoch, wonach wir wieder zu Tal gingen. Unterwegs schauten wir uns immer und immer wieder um und waren schon durch Heisterbacherrott, als wir im Zwielicht der Dämmerung die Bank auf dem Ölberg immer noch baumeln sehen konnten. Es war für uns Knirpse ein großes Erlebnis und wir freuten uns königlich, besonders auch darüber, dass wir im Hinblick auf die nahe Oberpleiser Kirmes die zwanzig Pfennig noch in der Tasche hatten.

Die Eisbacher Wasserleitung

Noch ein anderer Gedenktag ist heute. Vor einiger Zeit habe ich in alten Papieren festgestellt, dass auf Himmelfahrt 1896 die erste gemeinschaftliche Besprechung der Bewohner von Eisbach stattfand, mit dem Zwecke, eine Wasserleitung für das Dorf Eisbach anzulegen. Das war heute vor 73 Jahren. Um es der Nachwelt zu erhalten, möchte ich eine Begebenheiten aus dieser Zeit vorbringen: In Oberpleis wurde die Wasserleitung schon ein Jahr früher, 1895/96 gebaut. Bis dahin entnahmen die Oberpleiser ihr Wasser aus Pumpen oder Brunnen. Die Pumpen waren fast alle in Privatbesitz, während die Brunnen für die Öffentlichkeit zugänglich waren.      

Dort konnte jeder Wasser entnehmen. Der nächstgelegene Brunnen für die Schule lag neben dem Hause Düppenbecker, jetzt Max Wiese. Dieser Brunnen war mit einer dünnen Wölbung überdeckt. Da die niedrige Tür aber meistens offenstand, konnten auch Hunde und Katzen ihren Durst beliebig an dem Brunnen stillen. Hygienisch gesehen, wäre dieser Brunnen heute undenkbar; er war nur durch die Straße und eine steile Böschung von dem alten Friedhof getrennt. Die Böschung war sehr wasserreich und speiste wohl auch zum Teil den Brunnen neben der Straße. Trotzdem ist nie ein Fall von Typhus bekannt geworden.

Uns Schulkinder war es streng verboten, aus diesem Brunnen Wasser zu nehmen, wegen der damit verbundenen Gefahr des Hineinfallens. Wir benutzten in den Pausen meistens die Pumpen bei Bröl und Dresen; ich habe früher schon darüber geschrieben. Es kam uns Kinder wie ein Weltwunder vor, als nach Vollendung der Wasserleitung eine Pumpe auf dem Schulhof stand. Man brauchte nur auf einen Hebel zu drücken und schon war das Wasser da. Der Hebel wurde von uns reichlich bedient, mehr noch, als wir Durst hatten.

Die Wasserleitung in Oberpleis wurde, wie gesagt, im Jahre 1895/96 angelegt. Trotzdem ich damals erst ins zweite Schuljahr ging, kann ich mich noch sehr gut daran erinnern. Wenn wir mittags aus der Schule kamen, waren die Arbeiter meistens beim Essen. Wenn dann die Luft „rein“ war, liefen wir durch die ausgeworfenen Gräben. Erwischte uns der Schachtmeister dabei, gab es allerdings Ohrfeigen, die nicht von schlechten Eltern waren.

Einmal hatten wir in unserem jugendlichen Übermut es für gut befunden, am 'Flenksberch' (Niederbach) einige von den schweren Eisenrohren, die oben auf der Böschung lagen, in den Graben hinein zu rollen. Es war ein schweres Stück Arbeit für uns, aber wir schafften es mit vereinten Kräften. Dann kam das dicke Ende. Der Schachtmeister meldete die Freveltat in der Schule und unser lieber Lehrer Schwind zeigte wieder einmal mehr seine hervorragende Erziehungskunst. Alle Jungen (den Mädchen traute er anscheinend so was nicht zu) aus seiner Klasse, die von Eisbach und Pleiserhohn waren, mussten in einer Reihe vor seinem Katheder antreten, wo sie dann von Schwind hintereinander ohne viel Federlesens und ohne jede nähere Untersuchung der Reihe nach gründlich verprügelt wurden. Wenn auch nicht alle Delinquenten an der Schandtat beteiligt waren, so ging unser lieber Lehrer von der klugen Überlegung aus, dass die Richtigen doch dabei sein würden.

Es war wirklich eine stabile deutsche „Handarbeit“, was Schwind leistete, denn er gebrauchte zu solchen Exekutionen mit Vorliebe seine Fäuste. Als ich an die Reihe kam, da war es wie in der Bibel steht: 'Er sah ihn und ging vorüber'. Ich ging, wie gesagt, erst ins zweite Schuljahr und mein Lehrer dachte sicher, solche Winzigkeit könne wegen 'Kräftemangels' unmöglich an der Freveltat beteiligt gewesen sein. Vielleicht hatte er auch Angst, er könne mir mit seinen großen Fäusten einige diverse Knöchelchen zerbrechen. Ich hatte aber doch aus besten Kräften mitgeholfen und in der Pause haben mir dann meine 'Kollegen' aus edler Kameradschaft einen Teil ihrer, von Schwind erhaltener Prügel abgelassen und zwar mit solcher Freigiebigkeit, dass ich mich wegen der damit verbundenen Schmerzen doch besser von Schwind hätte behandeln lassen.

So viel ich mich erinnern kann, war Eisbach das erste Dorf, welches dem Beispiel von Oberpleis folgte und ebenfalls eine eigene Wasserleitung baute. Nach vielen Vorbesprechungen, die zum Teil recht stürmisch verliefen, wurde im Winter 1896/97 mit dem Bau der Wasserleitung begonnen, nachdem mein Vater lange Zeit berechnet, nivelliert und die ganze Leitung zu Papier gebracht hatte. Damals ist der Name 'kloke Isbijer' (kluge Eisbacher) entstanden und wir Eisbacher können heute noch stolz darauf sein, dass  unsere Väter damals so 'klok' waren, dieses Werk ohne jede fremde Hilfe zu schaffen. Lediglich hat ein Maurer den Hochbehälter gebaut und ein Installateur die Hausanschlüsse gefertigt. Die Schlußabrechnung nach Fertigstellung war noch nicht die Hälfte des Betrages, den vorher verschiedene Unternehmer gefordert hatten. Damals war ein Zuschuss der Provinzial Feuerversicherung erbeten und auch bewilligt worden. Da es sich um öffentliche Gelder handelte, wurden die Arbeiten vom Kreisbaurat und auch vom Kreisarzt öfter besichtigt, damit sie ordnungsgemäß durchgeführt wurden.

Bis zum Beginn des zweiten Weltkrieges hat unsere Wasserleitung tadellos funktioniert. Durch die starken Truppenbelegungen und die nach dem Kriege einsetzende Völkerwanderung stieg der Wasserverbrauch stark an und unsere alte Quelle schaffte es nicht mehr. Für den Einbezug einer weiteren Quelle wurde uns von maßgebender Stelle kein Darlehn bewilligt mit dem Hinweis darauf, uns dem damals neu gegründeten Wasserbeschaffungsverband Thomasberg anzuschließen. Dazu kam es aber auch nach folgendem Umstand: Nach dem Kriege wurde unsere Wasserleitung, wie wohl alle Wasserleitungen, in gewissen Abständen von der Gesundheitsbehörde überprüft, wobei immer wieder festgestellt wurde, dass unser Wasser angeblich Gesundheit schädigende Keime enthalten sollte. Folgendes kann ich heute noch nicht begreifen: In der damaligen Zeit haben wir unser Wasser öfters von maßgeblicher Stelle bei der Universität Bonn untersuchen lassen und es wurde uns durch Gutachten immer wieder bestätigt, dass unser Wasser zu Genußzwecken sehr geeignet sei. Diese Gutachten hat die Gesundheitsbehörde nie anerkannt mit der Begründung, dass allein ihre Untersuchungen maßgebend wären im Gegensatz zu den Gutachten aus Bonn. Wer hatte hier Recht? Wir haben uns dann, wenn auch schweren Herzens entschlossen, dem Wasserbeschaffungsverband beizutreten.

Aus der Zeit der dauernden Überprüfungen unseres Wassers durch die Gesundheitsbehörde möchte noch folgende schöne Geschichte erzählen: Eines Tages wurde ich aus dem Feld nach Hause gerufen. Dort war ein Herr, der mich fragte, ob ich der Vereinsvorsitzende des Eisbacher Wasserleitungsvereines wäre. Als ich dies bejahte, sagte der Herr, er käme von der Gesundheitsbehörde und müsse von mir eine Stuhlprobe abholen. Anhand dieser Probe müsse festgestellt werden, ob ich noch länger als Vorsitzender tragbar wäre. Der Herr musste seine Ansprache wiederholen, ehe ich den Sinn erfasst hatte.

Ich war beim Tode meines Vaters 1919 durch das Vertrauen meiner Mitbürger zu dessen Nachfolger als Wasserleitungsvereins-Vorsitzender gewählt worden. Dass aber nun meine 'Fäkalien' ausschlaggebend sein sollten, ob ich noch länger Vorsitzender bleiben könne, das kam mir unsäglich lächerlich vor. Wenn ich den Hochbehälter als Schwimmingpool benutzt, oder die Gewohnheit gehabt hätte, mich in diesem zu baden, hätte ich das allenfalls noch verstehen können, aber ich kam ja mit dem Wasser überhaupt nicht in Berührung. Deshalb fragte ich den Herren, ob dieses Ansinnen nicht doch ein verspäteter Aprilscherz sei. Darauf wurde er leicht ungeduldig und zeigte mir eine lange Liste vor, wo er den „Unrat“ abholen müsse. Dabei wollte er mir eine Flasche in die Hand drücken und ersuchte mich, ihn sofort abzufertigen.

Als ich merkte, dass das 'Herrlein' gänzlich humorlos war, dachte ich, ich könne mich ja mal ganz dumm stellen. Ich sagte ihm, ich würde ihm sehr gerne helfen, aber da bis jetzt solches noch nicht von mir verlangt worden wäre, könne ich mir allein sehr schlecht helfen. Begreiflicherweise könne ich auch meine Frau nicht in Anspruch nehmen, wenn er aber seinerseits die Freundlichkeit hätte, die Flasche zu halten, so würde ich meinerseits sehr gerne sehen, was zu machen wäre. Damit hatte ich aber in ein Wespennest gestochen. Der Herr wurde sehr zornig, er setzte die strengste Amtsmiene auf, die ihm zur Verfügung stand und dann eröffnete er mir, dass  ihm bis jetzt noch keiner solches Ansinnen gestellt hätte; er würde den Vorgang seiner Behörde melden und von dort würde ich das Weitere hören. Dann packte er seine Flasche ein und verschwand.

Das 'Weitere' kam dann zwei Wochen später in der Gestalt des Herrn Wilhelm Laufenberg, Schneidermeister und 'Desinfekteur' aus Weiler. Dieser versuchte mir in längerer, wohlgesetzter Rede klar zu machen, wie wichtig die Maßnahme für die öffentliche Gesundheit sei und ließ dabei durchblicken, dass gegebenenfalls dieser Vorgang auch erzwungen werden könne.

Als mich dann Laufenberg inständig bat, ihm doch zu helfen, hatte ich Mitleid mit dem alten Herrn und sagte ihm, er solle sich setzen. Dann nahm ich ihm die Flasche ab und ging damit – in den Kuhstall. Dort hatte unsere liebe Kuh gerade für frischen Vorrat gesorgt, wodurch ich den Herrn reichlich bedienen konnte. Ich habe dann die Flasche vorschriftsmäßig verschlossen, schön in Papier eingewickelt und sie dem braven Herrn Laufenberg in die Hände gedrückt. Er bedankte sich freundlich und ging.

Ich habe bis jetzt diesen Schwindel noch keinem Menschen erzählt. Da aber nunmehr über zwanzig Jahre vergangen sind, kann ich nicht mehr wegen Betruges belangt werden, weshalb es jetzt ein Jeder wissen darf. Merkwürdig ist nur Folgendes: Damals erhielt ich einige Wochen später über das Amt Oberpleis ein Schreiben der Gesundheitsbehörde, dass die von mir abgeholte Probe negativ ausgefallen sei. Mir fiel ein Stein vom Herzen und ganz Eisbach atmete auf, denn die Gefahr, dass durch mich ganz Eisbach verseucht hätte werden können, war gebannt und ich konnte wieder mit aufgesteckten Ohren durch das Dorf gehen. Mit diesem Schreiben bin ich in den Kuhstall gegangen und habe meiner lieben Kuh ihr amtliches Gesundheitszeugnis vorgelesen. Das brave Tier blinzelte mich verständnisvoll an und anscheinend freute auch sie sich sehr darüber. Ich bin dann von der Gesundheitsbehörde nie wieder 'unsittlich' belästigt worden."

Bild von 1969
Bericht: Johann Bennerscheid
Quelle: Siebengebirgszeitung Nr.28 vom 12.7.1969
Zur Verfügung gestellt von Paul Winterscheidt


Galerie: Johann Bennerscheid erinnert sich
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