Siebenhundert lange Jahre Hab’ ich Tag um Tag gesungen, Tag um Tag hat mein Geläute Über Berg und Tal geklungen.
Doch nicht fürder werden schwingen Mich zum Läuten starke Hände – Allen, die mich hörten, will ich Künden „Werden, Sein und Ende“.
Nun durchbrechet froh und mutig Des Vergessens schlimme Schranken, Eilet siebenhundert Jahre Mit mir rückwärts, Traumgedanken!
Benedicti fromme Jünger Hatten hier mit Axt und Kelle Einen stolzen Bau errichtet, Gotteshaus und Klosterzelle.
Und es ragte hoch erhaben Stolzer Turm hinauf ins Blaue, Und des Türmers Blicke schweiften Weit hinaus durch grüne Gaue.
Mochte wohl ein ander Kirchlein Um viel Spannen überragen, Das nicht weit auf gleichem Hügel Friedlich stand in jenen Tagen,
Wie es vordem schon gestanden Seit vierhundert langen Jahren, Seit der große Frankenkönig Schlug die wilden Sachsenscharen,
Seit die ersten frommen Mönche Drangen in die Heidenwildnis Und dem fremden Christengotte Richteten das erste Bildnis.
Bauten auf die kleine Kirche In der Kämpfe Ungewitter, Bauten eine heil’ge Stätte Für den Bauer und den Ritter.
Und noch viele Jahre sah ich Ritter wohl und Bauern wallen, Als die kleine Dorfeskirche Fast in Sturm und Zeit verfallen.
Und sie flehten, dass die Hochflut Tilge nicht die Wiesengründe, Dass nicht Brand das Korn zerfresse, dass des Himmels Blitz nicht zünde,
Dass der Feind uns nicht verderbe, Nicht vom Dach die Flamme lodre, Nicht die Pest in jedem Hause Ohn’ Erbarmen Opfer fordre.
Aber keine Glocke mochte Zu des Hochaltares Stufen Aus den Tälern, von den Hügeln All die frommen Christen rufen,
Denn der Turm war viel zu winzig, Dass den Glockenstuhl er trüge, Dass, um solche Last zu tragen, Balken sich an Balken füge.
Aber als der Klosterkirche Ragend stolzer Bau gelungen, Als zum ersten Male Glocken Über Berg und Tal gesungen –
Da erwachten alte Wünsche, Die in vielen Herzen schliefen, Dass auch sie die Glockentöne Sonntags in die Kirche riefen.
Und es drängte sich zum Prior Des Conventes eine Menge, Die Erlaubnis zu erbitten, Dass in hohem Turme hänge
Eine Glocke der Gemeinde, Die auch sie zur Messe riefe Von der Berge kahlen Höhen, Aus der Täler schatt’ger Tiefe.
Sprach der Prior: „Ich gestatte, Dass man eine Glocke gieße, Doch ich setze zur Bedingung, Dass ich Gegendienst genieße.
Möge euch die Glocke rufen So zur Andacht, wie zur Mette, Bei der Hochzeit mag sie feiern, Trösten auf dem Totenbette.
Doch bevor sie aufgehangen, Die Gemeinde heilig schwöre, Dass als ewiges Besitztum Sie dem Orden angehöre.“
Doch die Bauern und die Edlen Zeigten wenig gute Mienen, Denn des Priors Wahrspruch hatte Ihnen allzu hart erschienen.
Viele sannen Tag’ und Nächte, Um den Wahrspruch abzuwenden Und die neue Kirchenglocke Nicht dem Orden zu verpfänden.
Um die Glocke neu zu schaffen, Manche Gabe ward gespendet, Und ein alter Glockengießer Ward aus ferner Stadt gesendet.
Eilig ward der Guss vollendet Eh der Sommer war vergangen, Und ein schöner Morgen zeigte Land und Dorf in buntem Prangen.
Um den Glockenguss zu feiern Und dem Heiligtum zu weihen, Sind von fern und nah gekommen All die Bauern und die Freien.
Freudig waren sie versammelt, Und sie sangen frohe Lieder. Ernst und würdig stand der Prior, Schweigend alle Ordensbrüder.
Und nun ward die Form zerschlagen, Durch die Menge ging ein Raunen. Alle konnten nun die Glocke, die erglänzende, bestaunen.
Als ich ward, als ich in Flammen In die ird’ne Form geflossen, Hat in mir der alte Meister Wunderlichen Spruch gegossen,
Stand auf meinem Ring zu lesen: „Dieses Heiligtums Geläute Sei nicht zu der Mönche Segen, Sondern für die Ackerleute,
Für die Freien und die Bauern In der kleinen Kirche Hallen, Und es soll die neue Glocke Stets in Not und Sturm erschallen.“
Zornig blickten da die Mönche: „Hat man so den Spruch gedeutet, Dass man uns und unserm Orden Solches Ärgernis bereitet?
Mag in unserm Turm die Glocke Lieblich singen oder gellen, Mag ihr Spruch zum Schicksal werden, Mag sie einst im Sturm zerschellen!“
Und es murrten laut die Bauern, Hitzig stritten die Gemüter. Hier der Bauern harte Köpfe, Dort die strengen Klosterbrüder.
Dennoch hing ich bald im Turme, Konnte rufen über Felder, Über Gärten, über Wiesen, Über dunkelferne Wälder.
Und ich flehte, dass die Hochflut Tilge nicht die Wiesengründe, Dass nicht Brand das Korn zerfresse, Dass des Himmels Blitz nicht zünde.
Dass der Feind uns nicht verderbe, Nicht vom Dach die Flamme lodre, Nicht die Pest in jedem Hause Ohn’ Erbarmen Opfer fordre.
Linderte durch meine Bitten Manche bittere Bedrängnis, Wandte oftmals durch mein Flehen Furchtbar dräuendes Verhängnis.
Siebenhundert lange Jahre Hab’ ich Tag um Tag gesungen, Tag um Tag hat mein Geläute Über Berg und Tal geklungen.
Sah die Kreuzesfahrer ziehen In des fremden Land’s Gefahren, Sah die Bauernkriege wüten Und die wilden Schwedenscharen.
All die frommen Klosterbrüder Sind gezogen fort für immer, Und die alte Nebenkirche Fiel schon längst in Schutt und Trümmer.
Dann nach vielen trüben Jahren Hab ich wieder schöne Zeiten. Manchen Winter, manchen Sommer Braucht’ ich niemals Sturm zu läuten.
Und in langem Frieden lebte Ich durch meine späten Tage, Schickend auf zum hohen Himmel Lobgesang und Totenklage.
Aber diese Lebensarbeit Habe nunmehr ich beendet, Und es hat sich mein Geschicke Endlich noch im Sturm vollendet.
Durch die üppigen Gefilde Zogen fremde Räuberhorden, Um zu sengen und zu brennen, Um zu schänden und zu morden.
Doch bald hatten sich erhoben Aus den Tälern, von den Hügeln Alle Männer, um der fremden Bande Schicksal zu besiegeln.
Eilig sammelten sich alle, Und ich rief von meinem Turme, Dass es in die Berge schallte, Rief zum Kampf und rief zum Sturme.
Es entfachte mein Geläute Alles Volk zu grausem Grimme. Immer lauter ließ ich schallen Meine ehernstarke Stimme.
Immer dröhnender und heller Habe ich mein Lied gesungen – Mitten in den stärksten Tönen Ist die Stimme mir gesprungen.
Doch was tut’s. Die ausgezogen, Um die Räuber abzuwehren, Alle sah ich wohlbehalten Sieggekrönet wiederkehren.
Der Rebell ist fortgetrieben, Und er wird in diesen Tagen Nimmermehr in meine Gaue Beutefroh herein sich wagen.
Nun darf ruhen ich und rasten, Ich erfüllte die Bestimmung: Rief das Volk in Sturmesbrausen Auf zur edlen Selbstbestimmung.
Reife, Volk! In harter Arbeit Sollst von neuem du erstarken. Einigkeit und Friede werde Deinen blühenden Gemarken.
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