Die Sturmglocke von Oberpleis (Gedicht von Werner Heinen)

Siebenhundert lange Jahre
Hab’ ich Tag um Tag gesungen,
Tag um Tag hat mein Geläute
Über Berg und Tal geklungen.

Doch nicht fürder werden schwingen
Mich zum Läuten starke Hände –
Allen, die mich hörten, will ich
Künden „Werden, Sein und Ende“.

Nun durchbrechet froh und mutig
Des Vergessens schlimme Schranken,
Eilet siebenhundert Jahre
Mit mir rückwärts, Traumgedanken!

Benedicti fromme Jünger
Hatten hier mit Axt und Kelle
Einen stolzen Bau errichtet,
Gotteshaus und Klosterzelle.

Und es ragte hoch erhaben
Stolzer Turm hinauf ins Blaue,
Und des Türmers Blicke schweiften
Weit hinaus durch grüne Gaue.

Mochte wohl ein ander Kirchlein
Um viel Spannen überragen,
Das nicht weit auf gleichem Hügel
Friedlich stand in jenen Tagen,

Wie es vordem schon gestanden
Seit vierhundert langen Jahren,
Seit der große Frankenkönig
Schlug die wilden Sachsenscharen,

Seit die ersten frommen Mönche
Drangen in die Heidenwildnis
Und dem fremden Christengotte
Richteten das erste Bildnis.

Bauten auf die kleine Kirche
In der Kämpfe Ungewitter,
Bauten eine heil’ge Stätte
Für den Bauer und den Ritter.

Und noch viele Jahre sah ich
Ritter wohl und Bauern wallen,
Als die kleine Dorfeskirche
Fast in Sturm und Zeit verfallen.

Und sie flehten, dass die Hochflut
Tilge nicht die Wiesengründe,
Dass nicht Brand das Korn zerfresse,
dass des Himmels Blitz nicht zünde,

Dass der Feind uns nicht verderbe,
Nicht vom Dach die Flamme lodre,
Nicht die Pest in jedem Hause
Ohn’ Erbarmen Opfer fordre.

Aber keine Glocke mochte
Zu des Hochaltares Stufen
Aus den Tälern, von den Hügeln
All die frommen Christen rufen,

Denn der Turm war viel zu winzig,
Dass den Glockenstuhl er trüge,
Dass, um solche Last zu tragen,
Balken sich an Balken füge.

Aber als der Klosterkirche
Ragend stolzer Bau gelungen,
Als zum ersten Male Glocken
Über Berg und Tal gesungen –

Da erwachten alte Wünsche,
Die in vielen Herzen schliefen,
Dass auch sie die Glockentöne
Sonntags in die Kirche riefen.

Und es drängte sich zum Prior
Des Conventes eine Menge,
Die Erlaubnis zu erbitten,
Dass in hohem Turme hänge

Eine Glocke der Gemeinde,
Die auch sie zur Messe riefe
Von der Berge kahlen Höhen,
Aus der Täler schatt’ger Tiefe.

Sprach der Prior: „Ich gestatte,
Dass man eine Glocke gieße,
Doch ich setze zur Bedingung,
Dass ich Gegendienst genieße.

Möge euch die Glocke rufen
So zur Andacht, wie zur Mette,
Bei der Hochzeit mag sie feiern,
Trösten auf dem Totenbette.

Doch bevor sie aufgehangen,
Die Gemeinde heilig schwöre,
Dass als ewiges Besitztum
Sie dem Orden angehöre.“

Doch die Bauern und die Edlen
Zeigten wenig gute Mienen,
Denn des Priors Wahrspruch hatte
Ihnen allzu hart erschienen.

Viele sannen Tag’ und Nächte,
Um den Wahrspruch abzuwenden
Und die neue Kirchenglocke
Nicht dem Orden zu verpfänden.

Um die Glocke neu zu schaffen,
Manche Gabe ward gespendet,
Und ein alter Glockengießer
Ward aus ferner Stadt gesendet.

Eilig ward der Guss vollendet
Eh der Sommer war vergangen,
Und ein schöner Morgen zeigte
Land und Dorf in buntem Prangen.

Um den Glockenguss zu feiern
Und dem Heiligtum zu weihen,
Sind von fern und nah gekommen
All die Bauern und die Freien.

Freudig waren sie versammelt,
Und sie sangen frohe Lieder.
Ernst und würdig stand der Prior,
Schweigend alle Ordensbrüder.

Und nun ward die Form zerschlagen,
Durch die Menge ging ein Raunen.
Alle konnten nun die Glocke,
die erglänzende, bestaunen.

Als ich ward, als ich in Flammen
In die ird’ne Form geflossen,
Hat in mir der alte Meister
Wunderlichen Spruch gegossen,

Stand auf meinem Ring zu lesen:
„Dieses Heiligtums Geläute
Sei nicht zu der Mönche Segen,
Sondern für die Ackerleute,

Für die Freien und die Bauern
In der kleinen Kirche Hallen,
Und es soll die neue Glocke
Stets in Not und Sturm erschallen.“

Zornig blickten da die Mönche:
„Hat man so den Spruch gedeutet,
Dass man uns und unserm Orden
Solches Ärgernis bereitet?

Mag in unserm Turm die Glocke
Lieblich singen oder gellen,
Mag ihr Spruch zum Schicksal werden,
Mag sie einst im Sturm zerschellen!“

Und es murrten laut die Bauern,
Hitzig stritten die Gemüter.
Hier der Bauern harte Köpfe,
Dort die strengen Klosterbrüder.

Dennoch hing ich bald im Turme,
Konnte rufen über Felder,
Über Gärten, über Wiesen,
Über dunkelferne Wälder.

Und ich flehte, dass die Hochflut
Tilge nicht die Wiesengründe,
Dass nicht Brand das Korn zerfresse,
Dass des Himmels Blitz nicht zünde.

Dass der Feind uns nicht verderbe,
Nicht vom Dach die Flamme lodre,
Nicht die Pest in jedem Hause
Ohn’ Erbarmen Opfer fordre.

Linderte durch meine Bitten
Manche bittere Bedrängnis,
Wandte oftmals durch mein Flehen
Furchtbar dräuendes Verhängnis.

Siebenhundert lange Jahre
Hab’ ich Tag um Tag gesungen,
Tag um Tag hat mein Geläute
Über Berg und Tal geklungen.

Sah die Kreuzesfahrer ziehen
In des fremden Land’s Gefahren,
Sah die Bauernkriege wüten
Und die wilden Schwedenscharen.

All die frommen Klosterbrüder
Sind gezogen fort für immer,
Und die alte Nebenkirche
Fiel schon längst in Schutt und Trümmer.

Dann nach vielen trüben Jahren
Hab ich wieder schöne Zeiten.
Manchen Winter, manchen Sommer
Braucht’ ich niemals Sturm zu läuten.

Und in langem Frieden lebte
Ich durch meine späten Tage,
Schickend auf zum hohen Himmel
Lobgesang und Totenklage.

Aber diese Lebensarbeit
Habe nunmehr ich beendet,
Und es hat sich mein Geschicke
Endlich noch im Sturm vollendet.

Durch die üppigen Gefilde
Zogen fremde Räuberhorden,
Um zu sengen und zu brennen,
Um zu schänden und zu morden.

Doch bald hatten sich erhoben
Aus den Tälern, von den Hügeln
Alle Männer, um der fremden
Bande Schicksal zu besiegeln.

Eilig sammelten sich alle,
Und ich rief von meinem Turme,
Dass es in die Berge schallte,
Rief zum Kampf und rief zum Sturme.

Es entfachte mein Geläute
Alles Volk zu grausem Grimme.
Immer lauter ließ ich schallen
Meine ehernstarke Stimme.

Immer dröhnender und heller
Habe ich mein Lied gesungen –
Mitten in den stärksten Tönen
Ist die Stimme mir gesprungen.

Doch was tut’s. Die ausgezogen,
Um die Räuber abzuwehren,
Alle sah ich wohlbehalten
Sieggekrönet wiederkehren.

Der Rebell ist fortgetrieben,
Und er wird in diesen Tagen
Nimmermehr in meine Gaue
Beutefroh herein sich wagen.

Nun darf ruhen ich und rasten,
Ich erfüllte die Bestimmung:
Rief das Volk in Sturmesbrausen
Auf zur edlen Selbstbestimmung.

Reife, Volk! In harter Arbeit
Sollst von neuem du erstarken.
Einigkeit und Friede werde
Deinen blühenden Gemarken.

 

Foto: Willi Joliet; Textformatierung: Edgar Zens
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