Bernhard Gast Die Geschichte der Kannenfabrik Oberpleis Die Kannenfabrik, ein Haus an der Dollendorfer Straße, wo der Weg (Gustav-Freytag-Straße) nach Weiler abzweigt
Es ist ein Haus mit großem Kellerraum, mit flach gewölbten Deckenfeldern aus gebrannten Ziegeln, darüber ein früher einstöckiges Gebäude mit Bruchstein gemauert – wahrscheinlich Trachyt von der Perlenhardt. Es gibt nur Arbeitsräume, keine Wohnung, darum Fabrik genannt, mit einem Nebengebäude aus Fachwerk, alles um 1880 errichtet. Erbaut wurde die Fabrik von Johann Röttgen, 1846 in Weiler geboren, nach seinen Lehrjahren vermutlich Soldat im deutsch – französischen Krieg 1870 -71, Wanderjahre wie üblich. Danach wollte er sich selbstständig machen. Der Vater Peter Josef Röttgen, Landwirt und Müller zu Weiler, hatte um 1869 von den Erben des Wilhelm Klasen Ländereien gekauft, die vorher zum Weilerhof gehört hatten. Für den Hausbau gab er seinem Sohn das Grundstück an der Dollendorfer Straße. Zudem hatte er schon 1873 von dem Ackerer Anton Meisenbach aus Weiler für einhundert Taler ein zwanzig Ruthen großes Stück Ackerland in den Lützen gekauft, um dort Ton abzubauen. Grundstücksnachbar war der Bonner Bergwerksverein, der um diese Zeit in der Lützen schon Tonabbau betrieb. Weil nun Johann Röttgen für den Bau seiner Fabrik nicht genug Geld aufbringen konnte, musste er es sich leihen; der Vater bürgte für ihn. Die Fabrik sollte ja die Existenz für einen seiner sechs Söhne werden! Die „Kannenfabrik“ Johann Röttgens stellte einfaches, graues Gebrauchsgeschirr her, glasiert und mit blauen Ornamenten verziert: Tassen, Teiler, Kännchen und Kannen, Einmachtöpfe, bis hin zu großen „Düppen“. Produziert wurde in größeren Mengen, die am Ort nicht gänzlich verkauft werden konnten und weithin verschickt werden mussten. Aber es gab sehr schnell Reklamationen, Beanstandungen wegen der minderen Qualität der Ware. Ob nun Johann Röttgen zu wenig Kaufmann oder nicht genug Fachmann war, ob sich der eigene Ton aus der Lützen zur Verarbeitung nicht eignete oder der Brennofen nicht genug leistete – die Gründe dafür weiß man nicht mehr.
Bei dem Geschirr- das seine Fabrik verließ, war sehr vieles, welches als Irden-Ware bezeichnet wurde, Geschirr, welches bei niedriger Temperatur gebrannt und dadurch porös war. Als dann wieder einmal eine Lieferung reklamiert und nicht bezahlt wurde – es soll eine ganze Schiffsladung gewesen sein, die nach Amerika gegangen war, was sicherlich nicht stimmte -, konnte Johann Röttgen seine Leute, seine Zinsen und Schulden nicht mehr bezahlen; er verlor seine Fabrik an seine Geldgeber. Sogar der Vater, der für ihn gebürgt hatte, verlor dabei einen Teil seines Besitzes. Nur mit großem Fleiß, Sparsamkeit und mit Hilfe seiner Kinder konnte er diesen später zurückkaufen. Johann Röttgen hatte 1885 geheiratet, 1893 ist er mit seiner Frau und fünf kleinen Kindern nach Nordamerika ausgewandert.
Die„ Kannenfabrik" wurde von den Eheleuten Christian und Helene Reuter, geb. Rängen, aus Oberpleis erworben. Christian Reuter stammte aus Rauschendorf. Er soll als Soldat in der deutschen Kolonialtruppe in Afrika gedient haben. Nach seiner Entlassung wurde er vom Preußischen Staat als Polizeidiener angestellt; als „Scherschant Reuter“ war er weit über Oberpleis hinaus bekannt. Für den Kauf und den Umbau der „Fabrik" mussten sich die Eheleute Geld leihen; später sprach man von 6000 Goldmark. Die „Reuters in der Kannenfabrik“ hatten 10 Kinder, von denen eines verstarb. Die sechs Jungen erlernten alle einen Beruf, und alle Kinder fanden ihre passenden Ehegatten. Der Vater starb schon 1920; seine Frau, die alte Frau Reuter, starb 1945. Der älteste Sohn war schwer verwundet aus dem ersten Weltkrieg zurückgekommen. 1935 ließ er mit dem Erbteil seiner Frau das Haus aufstocken und zog wieder in sein Elternhaus. Er verstarb 1942. Um 1960 wurde das Haus modernisiert. Die hohen, schmalen Fenster ersetzte man durch neue breite. Bei Reparaturen an den Fußböden fanden sich viele Tonscherben; die Hohlräume zwischen den Balken waren damit ausgefüllt. Auch beim Graben im Garten stößt man noch auf Scherben.
An der Kannenfabrik steht ein altes Wegekreuz von 1725. Es wurde von einer Familie aus der Weiler Ölmühle (heute Röttgen) errichtet, vermutlich aber erst beim Bau des Hauses an die Dollendorfer Straße versetzt. Dort diente es bei den Pfarrprozessionen dann immer als Segenskreuz. Ab 1939 war dies verboten, und im gleichen Jahr wurde in der Oberpleiser Kirchenzeitung der Familie Reuter für 47 Jahre Pflege und Ausschmückung des Kreuzes zu den beiden jährlichen Pfarrprozessionen gedankt. Demnach müssten die Reuters schon 1892, gleich nach ihrer Hochzeit, in das Haus eingezogen sein. Nach 1945 fanden die Prozessionen wieder statt, und die Hausbewohner und die Familie Röttgen aus Weiler sorgten weiterhin für den Schmuck des Kreuzes zur Prozession. Die Verkehrsbedingungen ließen es dann seit Beginn der achtziger Jahre nicht mehr zu, dass die Prozession zum Segen dort halt machte.
Die alte Frau Reuter, eigentlich die zweite alte Frau Reuter, starb 1991 im Alter von 91 Jahren. Seit einigen Jahren hat das Haus neue Besitzer. Durch die Wurzeln der abgeholzten alten Weide und die Wurzeln der Linde steht das Kreuz inzwischen recht schief. Der Name „Kannenfabrik“ wurde in den umliegenden Neubaugebieten als Straßenname leider nicht gewünscht und nicht gewählt. So wird er bald vergessen sein. Nur gelegentliche Scherbenfunde im Garten erinnern dann noch an eine frühere Oberpleiser Töpferei.
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