"Trauerzug" durch Bellinghausen - Schnellbahngegner demonstriertenFahren Sie mit der Maus über das Bild. Info = Mauspfeil wird zur HandDas Bild hat beschriftete Bereiche.
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gst. "Dieser Trauerzug bedeutet noch nicht die Beerdigung von Bellinghausen. Heute trauern wir nur um die verkehrspolitische Unvernunft der zuständigen Politiker." Dies erklärte Karl-Heinz Bellinghausen von der Bürgerinitiative "Schnellbahngegner Bellinghausen" im Hofe des Anwesens Ludwig Gast. Anlass zu dieser Trauer sei die Entscheidung des Verkehrsministeriums, die ICE-Westerwaldtrasse zu befürworten.

Diese Entscheidung nannte Bellinghausen unvernünftig, weil ein durchdachtes verkehrspolitisches Gesamtkonzept nicht erkennbar sei. Unvernünftig sei die Entscheidung auch, weil eine gründliche Prüfung der Umweltverträglichkeit der Trassenalternativen (linksrheinisch und Westerwald) unterlassen wurde, weil der wirkliche volkswirtschaftliche Nutzen äußerst zweifelhaft sei, wenn man nicht nur die betriebswirtschaftlichen Kosten alleine berücksichtige, weil selbst bei einem betriebswirtschaftlichen Erfolg des Schnellbahnkonzeptes die bisher kaum beobachteten raumordnungspolitischen Folgen verheerend wären. Und schließlich sei die Entscheidung unvernünftig, weil dem Geschwindigkeitswahn weniger auf Kosten der Allgemeinheit als auf dem Rücken der direkt Betroffenen Vorrang eingeräumt werde. Bellinghausen erklärte den etwa 400 Versammelten und anschließenden Trauerzugteilnehmern, dass es bei beiden Varianten der Westerwaldtrasse um die Existenz der Bevölkerung gehe.

Viele Transparente wurden im Zug mitgeführt. Ein Trauerkranz hing im Hof von Ludwig Gast. Zudem war ganz Bellinghausen mit Plakaten versehen. Der Demonstrationszug passierte zunächst den etwa 1000 Jahre alten Bellinghauser Hof, der, falls die Vilicher Trasse gebaut wird, dem Projekt zum Opfer fällt. Mit weißen Bändern hatten die Bellinghausener die Stelle markiert, an der die Bahn aus ihrem Tunnel herauskommen würde. Hans Remig erläuterte die Pläne und die Folgen der Vilicher und der Siegburger Trassenführung. Er nannte die Bahntrasse eine wahnsinnige Planung und betonte, dass ein rund 400 Meter langes Brückenbauwerk von der L268 zum Libellenweg gebaut werden müsse, die Autobahn werde in sieben Meter Höhe gekreuzt.

Unterhalb von Sonderbusch markierten die Demonstranten mit weißen Bändern die Stelle, wo gemäß den vorliegenden Plänen zur Siegburger Variante ein Tunnel zu erwarten ist. Unterwegs wurde immer wieder ein Zuggeräusch per Tonband eingespielt. Die L268 war während des "Trauerzuges" 20 Minuten lang gesperrt. Zurück zum Hof Gast wurde über die Bundesbahnplanung weiter diskutiert. Rudolf Scheithe griff Bundesumweltminister Klaus Töpfer und Verkehrsminister Friedrich Zimmermann an. Die Meinung der Bürger: "Weiter Rabbatz machen." Und das soll nun jeden ersten Donnerstag im Monat ab 20 Uhr in der Gaststätte "Tannenhof" geschehen.

Stadt Königswinter
Schnellbahnverbindung Köln/Rhein-Main konzeptionslos und umweltfeindlich

Das Bundeskabinett hat Ende Juni auf der Grundlage einer Vorlage der Deutschen Bundesbahn und des Bundesverkehrsministers die rechtsrheinische Führung der Trasse der geplanten Schnellbahnverbindung Köln/Rhein-Main favorisiert. Ausgangspunkte für diese Entscheidung waren:

1.Die fünf bekannten von der Bundesbahn untersuchten Streckenvarianten für die in Rede stehende Schnellbahnverbindung (Varianten 0-4),

2.eine vergleichende Bewertung dieser fünf Grundvarianten durch ein von der Bundesbahn beauftragtes Ingenieurbüro mit dem Ergebnis einer Rangfolge zugunsten der rechtsrheinischen Trasse (Rang 1) sowie

3.eine vom Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegebene Streckenuntersuchung über die Führung der Bahntrasse durch Beuel und den Ennertbereich mit einem Bahnhof in Wahn (Flughafen) und Vilich oder Beuel.

Die Entscheidung einer Anbindung Bonns an diese Schnellbahnstrecke wurde zurückgestellt. Ebenso ist noch ungeklärt, ob und wie die Stadt Koblenz an diese Schnellbahnstrecke angebunden werden soll. Die Kabinettsentscheidung erfasst nur eine rechtsrheinische Trasse zwischen Königswinter-Bellinghausen und dem Dernbacher Dreieck. Es wurde ein "Torso" beschlossen. Auf eine unvollständige und nicht ausgereifte Vorlage konnte nur eine unvollständige und unausgewogene Entscheidung folgen. Sowohl die von der Bundesbahn favorisierte Variante 0 (von Siegburg kommend parallel der A 3 folgend) als auch die alternative Linie durch den Ennert beeinträchtigen das Natur- und Landschaftsschutzgebiet sowie das Wasserschutzgebiet des Wasserbeschaffungsverbandes Thomasberg in außerordentlich starkem Maße. Die Stadt Königswinter ist enttäuscht und besorgt über die Leichtfertigkeit, mit der diese Planungsentscheidungen vor dem Hintergrund vielfältiger Unwägbarkeiten gefasst worden sind. Die Entscheidung ist nicht auf der Grundlage des allgemein gültigen Gebotes einer ordnungsgemäßen planerischen Abwägung erfolgt, sonst hätte schon kein "Torso" beschlossen werden können.

Voraussetzung für solche ordnungsgemäßen Abwägungsprozesse sind ausgearbeitete echte Alternativen, die eine eingehende Prüfung ermöglichen und echte Vergleiche vor dem Hintergrund schonenden Umgangs mit dem Naturhaushalt insgesamt ermöglichen. Unter Beachtung der europaweit anzuwendenden Grundsätze über die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen wären mindestens zwei echte Alternativen auf beiden Seiten des Rheinstromes in das vorgeschriebene Verfahren einzubringen. Es ist äußerst besorgniserregend, dass die Bundesregierung selbst trotz der derzeit im Bundestag laufenden Beratungen über ein Gesetz über die Durchführung von Umweltverträglichkeitsprüfungen in diesem wohl erst bedeutenden Anwendungsfall eine Entscheidung ohne eine echte Umweltverträglichkeitsprüfung getroffen hat. Allein die Prämisse im Rahmen der vergleichenden Bewertung der Grundvarianten, daß der Anbindung Bonns ausschlaggebende Bedeutung zukommt, lässt die Grundlagen der Entscheidung zur Farce werden. Die zusätzlichen Kosten einer Anbindung Bonns in Beuel oder Vilich schlagen sich in der Kosten-/Nutzen-Analyse nieder. Sie sind ebenfalls nicht berücksichtigt. Ebenso wenig sind die Kosten einer Anbindung der Stadt Koblenz untersucht worden. Die verschiedenen Verkehrsträger - die Schiene, die Straße und der Luftraum stehen untereinander in Konkurrenz, ein an alle Bevölkerungsgruppen gerichtetes attraktives Verkehrsangebot zu entwickeln und vorzuhalten. Alle Verkehrsträger haben die gemeinsame Eigenschaft, außerordentlich umweltbelastend zu sein. Angesichts des steigenden Verkehrsaufkommens ist es zur Schonung des Naturhaushaltes heute unerlässlich, dazu ein zukunftsorientiertes Verkehrskonzept für die Bundesrepublik zu erarbeiten. Ein solches Verkehrskonzept liegt nicht vor.

Jeder Verkehrsträger versucht, seine Interessen durchzusetzen. Es ist widersinnig, eine Entlastung des innerdeutschen Flugverkehrs (Frankfurt, Düsseldorf) zu fordern und als Ersatz die Schnellbahn anzubieten, gleichzeitig aber den Einsatz der Magnetbahn mit seiner wesentlich höheren Geschwindigkeit zu ver- schweigen bzw. einfach abzutun ganz abgesehen davon, dass, gemessen an den Kosten der Schnellbahnstrecke, die Zahl der Umsteiger von dem Flugzeug auf die Bahn minimal sein wird. Das Fehlen eines zukunftsorientierten Verkehrskonzeptes macht sich auch in den Darlegungen der Deutschen Bundesbahn über die Notwendigkeit der Schnellbahnstrecke bemerkbar. Bisher wurde von den Vertretern der Bahn immer erklärt, daß nur reiner Personenverkehr über die Strecke abgewickelt werden soll, allenfalls während der Nacht .Eilfrachtstückqutverkehr". Jetzt hört man aus Bundesbahnkreisen, daß es - offenbar aus rein wirtschaftlichen Überlegungen - im Zusammenhang mit dem geplanten Netzschluss auf Europaebene auch ermöglicht werden müsse, Containertransporte über diese Schnellbahnverbindungen abzuwickeln. Eingriffe in den Naturhaushalt und Eingriffe in gewachsene Strukturen, die nie rückgängig zu machen sind, sollten heutzutage nur noch dann zugelassen werden, wenn deren Notwendigkeit zweifellos nachgewiesen ist. Ein solcher Nachweis ist nicht geliefert. Er ist auch ohne das Vorhandensein eines Verkehrskonzeptes mit vorformulierten Zielen nicht möglich.

Der Schutz des Lebensraumes verlangt heute mehr als rein wirtschaftspolitische Überlegungen und findet ebenso wie in einem Gesamtverkehrskonzept in einem ordnungsgemäßen Verfahren einer Umweltverträglichkeitsprüfung seinen Ausdruck. Angesichts des technischen Fortschrittes im Rahmen der Telekommunikation, der elektronischen Lenkung des Individualverkehrs und nicht zuletzt durch die Forschungsarbeit im Zusammenhang mit dem Einsatz der Magnetbahn muss man sich außerdem fragen, ob die Bundesbahn mit ihren Milliardeninvestitionen für den ICE-Triebkopf auf die richtige Karte gesetzt hat. Es kann nicht angehen, daß schwerwiegende Eingriffe in den Naturhaushalt auf der Basis eines bereits heute als veraltet anzusehenden Verkehrssystems erfolgen und andererseits ein hoch entwickeltes Land wie die Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, in ein Verkehrskonzept künftige technische Möglichkeiten einzuarbeiten. Das bisherige Verfahren mangelnder Transparenz durch die Deutsche Bundesbahn - sie weigert sich bis heute, Planunterlagen an die betroffenen Kommunen herauszugeben - hat sich auch nach dem Kabinettsbeschluss in keiner Weise geändert. Das daraus erwachsende Misstrauen wird sich - und dies ist nicht der Verdienst der betroffenen Kommunen - in den durchzuführenden Verfahren auswirken und eine äußerst kritische Betrachtung durch alle Betroffenen hervorrufen. So wie sich die Deutsche Bundesbahn mit einer auffälligen Ignoranz über Planungsgrundsätze hinwegsetzt, so wenig ist daran zu glauben, dass die Deutsche Bundesbahn mit dem Nachteil des starren Schienennetzes gegenüber dem Individualverkehr auf der Grundlage der vorgesehenen Attraktivitätssteigerung bestehen kann. Allein das Preis-/Leistungsverhältnis entscheidet darüber, welches Verkehrsmittel man wählt.

Die durch die Höchstgeschwindigkeit der Schnellbahn berechneten Fahrzeitverkürzungen müssen ebenso wie im Flugverkehr um die Zeit ergänzt werden, die die Andienung dieses Verkehrsmittels benötigt. Wir sind in unserer Region mit Verkehr (Rheinschiene mit Rheinschiffart und Bundesbahn, B 42 und Einflugschneise Flughafen Köln-Wahn) bereits überproportional belastet: Die Stadt Königswinter wird keine Beeinträchtigung des Naturschutzgebietes Siebengebirge hinnehmen. Das Siebengebirge stellt den ältesten Naturpark der Bundesrepublik dar und ist mit dem Europadiplom ausgezeichnet. Durch die Bundesautobahn A3 ist bereits ein Maß an Vorbelastung des Umfeldes des Naturparks erreicht, welches keine weitere Verschlechterung duldet. Der Europarat hat bereits signalisiert, dass im Vorfeld des Verfahrens untersucht werde, ob bei einer Verwirklichung der geplanten Schnellbahnverbindung parallel zur A 3 dem Naturpark Siebengebirge das Europadiplom aberkannt werden müsse. Das Siebengebirge ist für den Köln-Bonner Raum und auch für das Ruhrgebiet mit Millionen Besuchern jährlich ein nahe liegendes und bedeutendes Erholungsgebiet. Die topografischen Verhältnisse erfordern beim Bau der Schnellbahnstrecke und den einzuhaltenden Gradienten eine weitgehende negative Veränderung des Landschaftsbildes. Der Hinweis der Deutschen Bundesbahn, der Naturpark Siebengebirge werde nur am Rande durch die geplante Schnellbahnstrecke tangiert, trifft nicht den Kern des Problems. Abgesehen davon, dass dem eigentlichen Naturschutzgebiet weite, als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesene Flächen vorgelagert sind, die ebenfalls zum Naturpark, zur Naturschutzfunktion und zum Erholungswert zu zählen sind, wird die Gefährdung der Wasserschutzzonen deutlich steigen, wenn man auch noch den Gütertransport - evtl. Gefahrengut - in die Überlegungen einbezieht. Die Beeinträchtigung des Wasserhaushaltes ist in den vergleichenden Bewertungen nicht geprüft worden. Ob und wie sich das Vorhaben der Deutschen Bundesbahn auf den Wasserhaushalt auswirken wird und welche Beeinträchtigungen in Zukunft zu erwarten sind, muss in jedem Fall in eine Umweltverträglichkeitsprüfung Eingang finden, deren Durchführung mit allem Nachdruck beantragt wird.

Hank (Bürgermeister)
Die im Rat der Stadt vertretenen Fraktionen
für die CDU-Fraktion Franz Riscop für die SPD-Fraktion Karl-Heinz Seger
für die Fraktion Die Grünen Henning Niemeyer
für die FDP-Fraktion IIse Kehren

Bild von 1989
Foto und Text: Günther Steeg
Quelle: Siebengebirgs-Zeitungen Nr. 43 + 46 vom 26. Okt. + 16. Nov. 1989
Zur Verfügung gestellt von Friedrich Müller

Raum: Verkehr Vitrine: ICE
Raum: Aus den Dörfern ringsum Vitrine: Bellinghausen
Raum: Presseberichte 1 (bis 1989) Vitrine: Siebengebirgs-Zeitung 1 (bis 1989)
Raum: Höfe Vitrine: Bellinghauser-Hof
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Datensatz 3341 wurde zuletzt bearbeitet von hr/fb/ze/fb am 30.08.2022 um 10:02 Uhr
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